In Gedenken an Manfred Voigts

2. Mai 1946 – 4. September 2019

Nach langen Jahren schwerer Krankheit ist Professor Dr. Manfred Voigts in Berlin verstorben. Manfred Voigts ist ein Grundstein der Vereinigung für jüdische Studien. Er war 1996 deren Gründungsmitglied und viele Jahre aktiv im Vorstand der Vereinigung. Manfred Voigts war Vater und zugleich Hebamme der Verbandszeitschrift PaRDeS, die zunächst den Namen VJS-Nachrichten trug. Er war es, der darauf gedrängt hatte, der Vereinigung ein ihrer Zielsetzung entsprechendes Sprachrohr zu geben. Und so war er es auch, der auf seinem häuslichen Rechner nicht nur die ersten Artikel für das ab 1997 erscheinende Nachrichtenblatt verfasste, sondern dessen gesamte Herstellung bewerkstelligte. Dass gerade er dieses Vorhaben vorschlug und ins Werk setzte, entsprach seiner kompromisslosen Schriftstellernatur. Seine Bemühungen haben ihm recht gegeben. Bei der Übergabe der Redaktion an Nathanael Riemer im Jahr 2003, war das Blatt so weit gediehen, dass ihm auch der neue Name PaRDeS und der wachsende Umfang wohl anstand.

Manfred Voigts hat über zwanzig Bücher, Monographien und Editionen, hinterlassen sowie eine große Zahl von Aufsätzen, Zeitungsartikeln und Buchbeiträgen, deren Zentrum die jüdische Geistesgeschichte im deutschsprachigen Raum seit der Aufklärung ist, sich aber nicht darauf beschränkte. Nachdem die Dissertation und eine ihr nachfolgende Anthologie Berthold Brecht gegolten hatten, begann seine Buchproduktion zur deutsch-jüdischen Kultur- und Geistesgeschichte mit dem Exzentriker Oskar Goldberg: Oskar Goldberg. Der mythische Experimentalwissenschaftler. Ein verdrängtes Kapitel jüdischer Geschichte (1992), dann folgte Jüdischer Messianismus und Geschichte (1994), Das geheimnisvolle Verschwinden des Geheimnisses (1995), Wir sollen alle kleine Fichtes werden! Johann Gottlieb Fichte als Prophet des Kultur-Zionismus (2003), Die deutsch-jüdische Symbiose (2006), Kafka und die jüdisch-zionistische Frau (2007), Geburt und Teufelsdienst. Franz Kafka als Schriftsteller und als Jude (2008). Seine Bucheditionen nehmen diesen Themenkreis auf, sie widmeten sich mehrfach Erich Unger, den Pragern Kafka und Felix Weltsch, wieder Oskar Goldberg, Moritz Goldstein, dann Heinrich Friedrich Diez und der jüdischen Studentenorganisation Freie wissenschaftliche Vereinigung – und noch 2016 die Aufsatzsammlung Jüdische Geistesarbeit und andere Aufsätze über Jakob Frank bis H. G. Adler.

Ein Blick auf die Titel der Bücher und Aufsätze von Manfred Voigts offenbart eine Besonderheit der Voigts‘schen Forschernatur: Es war die Aufdeckung unbekannter längst in Vergessenheit geratener Personen, Materialien und Sachverhalte, der seine Leidenschaft galt, wozu er gezielt Kontakte zu weit verstreuten Mittels-Personen pflegte und kaum ein Besuch auf dem Flohmarkt verging, von dem er nicht ein zuweilen revolutionäres „Fündlein“ mitbrachte – das spektakulärste war der Nachlass von Oskar Goldberg, der nun in Marbach liegt, oder ein Brief von Gershom Scholems Frau Escha an Gustav Steinschneider, in welchem sie bekennt, dass viele Briefe Scholems an seine Mutter tatsächlich das Werk von Escha waren. Dieser untrügliche Spürsinn half Manfred Voigts auch, im Laufe der Jahre eine große, erlesene Bibliothek zusammenzutragen, die nicht nur ihm selbst, sondern all seinen Freunden als eine unerschöpfliche Quelle und feste Basis für weitere Forschungsarbeiten diente.

Manfred Voigts wurde in Braunschweig geboren, studierte von 1968 bis 1975 in Tübingen und Berlin die Fächer Germanistik, Politologie und Psychologie und beendete das Studium mit der Promotion. Die Dissertation, die inzwischen als Standardwerk gilt, trägt den Titel: Die Entstehung der Brechtschen Theaterkonzeption. Sie erschien 1977 im Fink Verlag. Im Jahr 1980 wurden diese Arbeiten zu Brecht mit einem fast fünfhundert Seiten starken Band von 100 Texten zu Brecht abgerundet, der als UTB Taschenbuch erschienen ist.

Nach der Promotion folgten vier Jahre Lehraufträge bei der Berliner Germanistik, dann von 1975 bis 90 eine feste Anstellung beim Berliner Rundfunk, wo Manfred Voigts als Archivar und Rundfunkautor gearbeitet hat. Zugleich war er gewerkschaftlich tätig, wurde Verbandsvorsitzender und schließlich Mitglied des Hauptvorstandes. Die mit zwei erfolgreichen Söhnen gesegnete Eheschließung erfolgte 1983.

Erst 1990 hat sich Voigts wieder ganz der Wissenschaft zugewandt zunächst als freier Gelehrter und Autor, und seit dem Sommersemester 1995 im gerade neu gegründeten Potsdamer Studiengang Jüdische Studien zunächst als Lehrbeauftragter, seit der Habilitation 1999 als Privatdozent und ab 2005 bis 2011 als außerplanmäßiger Professor, wo er das Studienprogramm durch kontinuierliche und interessante Angebote bereicherte.

Mit Manfred Voigts allzu frühem Tod haben wir nicht nur einen originellen und produktiven Wissenschaftler verloren, sondern ein prägendes Mitglied der Vereinigung für Jüdische Studien und einen guten Freund.

K. E. Grözinger

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